Samstag, 23. Oktober 2010

Reisen bildet.




Autofahrt nach Oostende. Meine Erinnerungen an Belgien sind so kontrastreich, wie ein Gefrierbeutel. Einmal durchgefahren, auf dem Weg nach Frankreich, vor, lieber Himmel, über 20 Jahren. Das Wetter ist für Oktober ziemlich schön, die Sonne scheint und ich kann während der Fahrt sogar die Seitenscheibe öffnen, ohne ein abgefrorenes Ohr zu riskieren. Die Überquerung der Grenze von den Niederlanden nach Belgien war noch weniger spektakulär, als die von Deutschland ins Tulpenpflanzerland. Einfach ein gelbliches, leicht verbogenes Schild, ein anderer Fahrbahnbelag und das war's dann auch schon. Ich bin etwas enttäuscht, aber dann fällt mir ein, dass in Belgien auch französisch gesprochen wird und ich versuche angesichts eines Anfalls von Urlaubslaune, im Autoradio einen französischen Sender einzufangen. Nach 5 Minuten phonstarker, holländischer Radiowerbung gelingt mir das sogar. Auf La Premiere unterhalten sich zwei Damen über die Küche der Bretagne (so weit reicht mein klägliches Schulfranzösisch sogar). Die könnten meinetwegen auch über Bowling oder Springreiten diskutieren; wenn man zwei wohlklingende Frauenstimmen französisch sprechen hört, tut sich eine ganze Gedankenwelt auf, die an dieser Stelle aber nicht Thema sein soll. Schließlich doch noch Musik. In Frankreich wird ja überwiegend französische Musik gespielt, während man hierzulande der Deutschquote zwar die rote Karte gezeigt hat, aber dafür auch keine französische Silbe zu hören bekommt. Frankreich liegt mir nicht so, wie es anderen Menschen liegt, aber als ebenso neugieriger, wie musikliebender Mensch will ich meinen Kenntnisstand auffrischen. Und werde gleich mit einem Leckerbissen belohnt: Benjamin Biolay mit "Los Angeles", von seinem Debut "Rose Kennedy". Tolle Mischung aus Gitarrenpop mit Chanson-Anleihen und feinen Bläsern. Ich verstehe natürlich kein Wort vom Text, aber das ist auch ganz und gar egal, denn die Sonne, dieser Song und eine mir unbekannte Landschaft sind so unvermutet elektrisierend, dass ich auch noch die zweite Seitenscheibe herunter (und die Heizung auf volle Befeuerung) drehe. Reisen scheint mir erneut die einzige Beschäftigung auf diesem Planeten zu sein, für die man nicht genug Geld ausgeben kann.

Nach einer Woche wieder zuhause habe ich mit Menschen aus 10 Ländern und von drei Kontinenten gesprochen, mich in die "Königin der Seebäder" Oostende verliebt und ein Album erworben, welches sich seit Tagen im Player dreht. Ich werde wieder nach Belgien fahren. Im Frühling oder Sommer, wenn das Heizgebläse nicht mehr notwendig ist, um für Hochstimmung zu sorgen. Und dabei werde ich Benjamin Biolay hören. Ich könnte mir bis dahin die Texte dieses Albums übersetzen lassen. Aber warum sollte ich?  

Sonntag, 10. Oktober 2010

Solomon Burke, 1940 - 2010




Im Olymp des Soul war er ja ohnehin schon. Jetzt hoffe ich gerade, dass er auch in dem Himmel gelandet ist, an den er so fest geglaubt hat. 

Scheiße. Rest in Peace.

Freitag, 8. Oktober 2010

Wiedersehn.



Wo wir gerade bei "Under Pressure" sind: wer wollte eigentlich nicht irgendwann für einen Tag mal David Bowie sein? Wobei diese Frage zweierlei Antworten zulässt: allein in meinem Bekanntenkreis gibt es schon ein paar Menschen, die es gern etwas länger gewesen wären. Ich für meinen Teil bliebe zwar gern ich selbst, kann aber ohne rot zu werden nicht ausschließen höchst erfreut zu sein, würde mir jemand über Nacht die Gabe des perfekten Stils verleihen. Die schließlich, wenn man es mal ganz genau nimmt, im Musikgeschäft seit Ewigkeiten nur Bowie besitzt. Sogar im gesichtslosesten Jahrzehnt, welches die moderne Welt je erlebt hat, den Neunzigern, war Bowie stilbildend der Zeit um Meilen voraus. Auf Beifalls-bekundungen hat er dabei stets auf die gleiche Art reagiert, wie mal im Rolling Stone zu lesen war: »Deine letzte Platte hat mir gut gefallen. Sowas solltest du öfter machen!« »Fein! Das mache ich nie wieder.«

Ich hoffe sehr, dass dieser Mann nur seine Kräfte sammelt. Ich vermisse den Moment der Überraschung, der sich bislang noch bei jedem Bowie-Album eingestellt hat. Mir fehlt seine Art des Auftritts, dieser ganz spezielle Habitus, die sich sogar dann erschließt, wenn er nur in einem Werbespot für Mineralwasser zu sehen ist. Ohne David Bowie ist die Welt der Musik nicht schlechter. Bloß ärmer.   

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Under Pressure



Alle Jahre wieder gibt es auf unserem Planeten Songs, passend zu irgendeinem guten Zweck. Aber selten hat jemand so einfallsreich und wirklich irre lustig mit Musik auf einen Missstand hingewiesen, wie dieser Mann. Ein Jahrhundert-Song. Und das "Musik-Video" des Jahres. Mindestens.

»As I said this is a performance. I don't want there to be any doubts about my situation. I am a performer. I have a roof over my head and I have yet to start my own family. But this video isn't about me. This is for the men, women and children on our streets who don't have bright green puppets on their hands. The people who aren't always as easy to see. This is for you.«

Sonntag, 3. Oktober 2010

Eric Clapton · Clapton

















Langeweile is God.

Der Art Director will das Blatt fertig machen. »Schreib doch über die neue Clapton. Den mochtest du doch früher so gern.« »Ja, aber das ist auch schon ziemlich lange...« »Papperlapapp, nimm mal die Scheibe von dem. Den Clapton kennen die Leute, die mögen den. Sonntag ist Deadline.« Note to myself: Vielleicht macht ein erhöhter Schwierigkeitsgrad die Sache spannender. Verboten sind der Begriff "Slowhand" und die olle Kamelle von "Clapton is God". Ist sowieso eine Ewigkeit her. Also. 

Lieber Himmel, das Cover sieht aus wie eine Fielmann-Anzeige. Das geht ja gut los. Erstes Stück: "Travelin' Alone". Blues, logisch. Clapton versucht den einigermaßen dreckig zu gestalten, aber irgendwie bleibt es trotzdem Altherren-Blues. Eine Minute. Eins dreißig. Nein. Song zwei: Auf den Altherren-Blues folgt Opa-Blues. Heißt auch "Rocking Chair". Habe ich wirklich erwartet, dass Clapton ein richtig atemberaubendes Alterswerk fabriziert? Nein, habe ich nicht. Ich werde schläfrig, schnell weiter: "River Runs Deep". Moment, das ist ganz hübsch. Streicher, eine quirlige Wurlitzer, Harmoniegesang mit J.J. Cale, von dem der Song auch stammt. Dass Clapton weiß, wie man mit einer Gitarre umgeht, muss er ja nicht mehr unter Beweis stellen. Tut er hier aber sehr unaufdringlich. Gefällt mir. Macht bloß noch schläfriger, obwohl längst keine Schlafenszeit ist. Ich lege jetzt die neue Arcade Fire auf. 

Komisch geträumt. Vom Clapton-Konzert, Hamburg, Sporthalle. Wann war das? 1989? 1990? Clapton hat da noch geraucht. Fand ich damals toll, die Kippe kurz angeraucht und dann zwischen die Saiten am Sattel der Stratocaster geklemmt. Macht heute auch kein Schwein mehr. Auf der Bühne direkt vor mir die Background-Mädels Katie Kissoon und Tessa Niles. Letztere in einem schlichten Minikleid aus Leder, mit einem durchgängigen Reißverschluss vorn. Geöffnet bis zur Herzschlaggrenze. Ich bekam kaum ein Solo von Clapton mit und dachte noch tage- oder (eigentlich eher) nächtelang daran. Ich schalte den Player wieder ein. "Judgement Day" läuft durch, "How Deep Is The Ocean", "The Milkman", "Can't Hold Out Much Longer". Langeweile macht sich in mir breit. »Blues ist das Eisstockschießen der Musik« habe ich mal irgendwo geschrieben. Fällt mir jetzt wieder ein. Erst "Everything Will Be Alright" lässt mich wieder aufhorchen. Schöner Takt, feine Bläser, mit Zurückhaltung gespielt. Das Piano-Solo macht's etwas zu pomadig, aber ein guter Song. "Diamonds Made From Rain", mit Sheryl Crow. Die obligatorische Tränenzieher-Ballade, arg kalkuliert, furchtbar klebriger Text. Aber die Stimme von Clapton ist immer noch klasse. Weiter: Blues, Blues, Blues-Rock (die einzige Eigenkomposition auf diesem Album), noch eine Cover-Variante von "Autumn Leaves", Schluss, aus, vorbei. Husch, zurück in die Hülle.    

3 zu 11. Miese Bilanz. Wäre nur als Heimpleite der Bayern gegen den VfB klasse. Die drei Guten sind dafür nicht nur gut, sondern fast toll. Reicht das für drei Sterne? Nein, reicht nicht. Aber wenn es nach dem Art Director geht, kennen die Leute den Clapton ja und mögen den. Haben also vielleicht auch nicht auf ein zweites "Behind The Sun" gehofft, so wie ich. Soll mir recht sein. Und wer bin ich denn schon, um das alles beurteilen zu dürfen? Eben. (Kunden, die das gekauft haben, kauften auch: Joe Cocker, Phil Collins, Carlos Santana.)