Dienstag, 21. September 2010

Paul Weller · 22 Dreams



Feines, aber manchmal schweres Backwerk.

Ein Konzeptalbum! Musik für Musiker! Würde man nicht besser wissen (und in den letzten Interviews, die Paul Weller mal gern, mal eher mürrisch gegeben hat herausgehört haben), dass es durchaus schwierig war, 22 DREAMS abzumischen und das Tracklisting hinzubiegen, könnte man hier durchaus davon ausgehen, es mit verkünsteltem Konzeptkalkül und Muckertum zu tun zu haben. Aber natürlich gelten für das nunmehr neunte Studio-Soloalbum des Modfathers andere Gesetze. Wie schon seit langem und jetzt erst recht – denn unlängst feierte Weller seinen 50. Geburtstag und ruht nach eigenen Angaben mittlerweile größtenteils in sich selbst. Was auf die Wellersche Rastlosigkeit indes keinen Einfluss hat; lediglich vielleicht auf die Urteilsbetrachtung hinsichtlich der versammelten Musikpresse. »Ich habe mir das Recht erarbeitet, keine Kompromisse mehr einzugehen. Ich kann machen, was ich will.« wurde Paul Weller vor wenigen Wochen zitiert. Wenn man 22 DREAMS zum ersten Mal hört, bekommt man tatsächlich den Eindruck, dass der Mann seinen Worten auch Taten folgen lässt.

Für jemanden, der es während seiner gesamten Karriere gewohnt war mit Stilen zu brechen, Kurven und Kehrtwenden einzulegen oder gar Haken zu schlagen, mag das vorliegende Doppelalbum die normalste Sache der Welt sein. Für aufmerksame Musikliebhaber – und Weller-Fans erst recht – ist 22 DREAMS ein ganzes Stück Arbeit. Vor allem, weil diese 21 Songs (!), zumindest was das Studiowerk von Paul Weller anbelangt, direkt auf das absolut grandiose und stellenweise ziemlich breitbeinige AS IS NOW von 2005 folgen. Hatte man damals und in den folgenden Jahren vor Publikum noch gedacht, Weller hätte es sich komplett in der alterslosen Rock’n’Roll-Ledergarnitur, der Oasis-Kumpanei und inmitten seiner klassischen Vier-Personen-Band kuschelig gemacht, wird 22 DREAMS nun recht verspielt unterbrochen von allerlei instrumentalem Spleen und musikalischen Vignetten. Ob man das braucht oder nicht, mag jeder für sich selbst befinden. Die tatsächlichen Songs auf 22 DREAMS hingegen, sind zum größten Teil schlichtweg wunderbar.

Hat man den etwas überdrehten Einstieg erstmal geschafft, ist man geradezu erstarrt von der klaren, schlichten Schönheit, die ALL I WANNA DO IS TO BE WITH YOU oder HAVE YOU MADE UP YOUR MIND ausstrahlen. Das harmonieselige EMPTY RING hält vermutlich noch in ein paar Monaten ein paar neue, bislang unentdeckte Melodien bereit, während INVISIBLE so viel Resignation in sich trägt, dass Menschen, die sich gerade in einer vergleichbaren Beziehungssituation befinden, dem Gedanken mal eben ins Wasser zu gehen, eine Menge abgewinnen könnten. Das fantastische COLD MOMENTS zitiert luftig die Sixties und ist allein durch den Sha-la-la-Part zum Mitsingen schon jetzt ein Weller-Klassiker. Und auch wenn Paul Weller die Beatles bevorzugt, ist der Beginn von PUSH IT ALONG ebenso kunstfertig wie herrlich bei der ehemaligen Konkurrenz von Under my thumb geklaut. Aber trotzdem toll, selbstredend. Das Oasis-Derivat ECHOES ROUND THE SUN, mit Wellers Lieblingstrinkkumpanen Noel Gallagher geschrieben, ist so eloquent wie grandios, hingegen doch schnell als Kooperation enttarnt – als lupenreiner, alleiniger Paul Weller Song wäre das dann doch zu eindimensional. Direkt auf diesen ultracoolen London-Chartbreaker einen Tango wie ONE BRIGHT STAR folgen zu lassen, kann man sich wohl tatsächlich bloß erlauben, wenn man wie Weller keine nervenden Plattenbosse im Nacken hat. Nach der Pleite des Hauslabels V2 fand Weller den Weg zurück zu Universal und dort ist man dem Anschein nach so froh über das unverhoffte Glück, wieder ein English Icon in den eigenen Reihen begrüßen zu können, dass man dem verlorenen Sohn so Einiges durchgehen ließ. Das versponnene GOD, die überfrachtete und gänzlich überflüssige Session 111 oder das verkünstelte NIGHT LIGHTS beispielsweise.

Es ist unmöglich, einen Mann wie Paul Weller auf einen Stil oder gar eine oder zwei Platten zu reduzieren, weshalb 22 DREAMS wohl auch nichts für Einsteiger in das Gesamtwerk des Künstlers sein werden. Eingeweihte werden die Einflüsse von Traffic oder den Small Faces zu schätzen wissen, aus denen Weller selbst auch nie einen Hehl gemacht hat. So ist diese Platte ein Doppelalbum im klassischen Sinn. Als Stand-alone mit mindestens 10 außergewöhnlichen Songs ein im Vergleich zu AS IS NOW zwar ruhigeres, aber durchaus musikalisch wertvolleres Meisterwerk. Als Doppelalbum muss sich 22 DREAMS mit ein paar naturgemäßen, aber daher verzeihbaren Lückenbüßern herumprügeln. Paul Weller hat sich selbst einen musikalischen Geburtstagskuchen gebacken. Der muss nicht jedem schmecken. Aber das eine oder andere Stück ist immer noch weitaus leckerer als vom besten Bäcker der Stadt.