Dienstag, 21. September 2010

REM · Accelerate


Leider gut.

Mist, verdammter. Jahrelang war ich davon überzeugt, dass ich REM nach vielen grandios gescheiterten Annäherungsversuchen einfach nicht mögen muss. Richtig froh war ich, den Hype mancher Pop-Gazetten nicht mitmachen zu müssen. Und bestätigt wurde ich auch immer wieder, wenn sich diese Truppe ganz gefährlich an der Grenze zum Mainstream entlanggemogelt hat. Wenn mir die Stimme von Michael Stipe einfach furchtbar auf die Nerven ging. Dieses Gezappel dazu. Die ganze Attitüde, das verkniffene auf-Fotos-wird-nicht-gelacht, diese „Amerika ist aber ganz gehörig am Arsch“ Nummer. Shiny Happy People im Formatradio. Und dann auch noch das verunglückte „Monster“ und zu guter Letzt der Panzerknacker-Streifen im Gesicht. Alles ziemlich doof. Meine Welt war echt in Ordnung ohne REM.

Und jetzt das. Kommen die daher und legen das beste Rock-Album des ersten Quartals 2008 hin. Einfach so. Da hab ich den Salat. Denn so sehr ich mich auch drehen und qualvoll winden mag – an den 35 Minuten auf „Accelerate“ ist tatsächlich kein Makel zu finden. „Living well is the best revenge“ tritt nach Betätigung des Abspielknopfs die Tür auf und bellt einem frech ins Gesicht. Viel breitbeiniger, als man das von einer Truppe erwarten würde, die einen Mann mit Norbert-Blüm-Brille in ihren Reihen beherbergt. Von einer komplexen, aber blöderweise dennoch nicht verkünstelten Songfigur getragen, schunkelt man sich gleich danach durch „Man-sized Wreath“. Und ist anschließend wirklich angenehm überrascht, denn wenn ein Großteil der REM-Auskopplungen im Backkatalog so energetisch und ungebürstet dahergekommen wäre, wie „Supernatural Superserious“, hätten sich die Jungs aus Georgia viel Ungemach erspart. Klar – auch hier verspürt man ein wenig Eingängigkeit, für die man REM so oft geächtet hat (ich auf jeden Fall – Schande über sie!). Die verschwindet aber im Flug, wenn man sich das Ding einfach richtig laut auf einem Tonträger und nicht als UKW-Frikadelle im Shakira-Rihanna-Sandwich zu Gemüte führt. Wunderschön, wie fies der Refrain zu „Hollow Man“ eingeleitet wird und sich der Bass schlangenförmig in die Höhe windet. Der bedrohliche Höhepunkt bei „Houston“ mit einem scheppernden Schlagzeug, mit Gitarren wie Knarren und einer angehübschten Mandolinenspur irgendwo aus dem Off. Das Titelstück lässt wenig Atemluft, bei „Until the day is done“ kann man zur Akustischen mal durchschnaufen. „Horse to water“ hätte man sich unveröffentlicht als Live-Beigabe gewünscht, weil das Publikum beim Mitklatschen herrlich verzweifelt nach der Eins sucht. Apropos Zahlen: Ordentlich auf die Zwölf gibt’s dann nochmal zum Schluss bei „I’m gonna DJ“ mit quietschfidelen Uhuu-Chören.

Es ist übrigens nicht der Kürze der Songs zu verdanken, dass man auf „Accelerate“ ständig bei der Stange bleibt. Vielmehr haben REM auf jeglichen überflüssigen Schnickschnack verzichtet und folgen ihren einfachen, wie exzellenten Songstrukturen. Die Stücke stehen schlank und druckvoll da, nichts wird begradigt, kein Fade-out lässt nach letzten Akkorden die fast in Punk-Manier enden, noch Fragen offen. Da liegt die Vermutung nah, dass nach dem ersten Take im Studio die Aufnahme im Kasten war. Haken dran, weiter bitte, wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit. Mehr nach offenem Garagentor klangen REM wohl nie. Kaum eine Gitarre ohne Kabel. Please file under „Rock-Music“.

Okay. Ja, mein Gott. REM haben eine verdammt gute Platte gemacht. Leider. Wehre ich mich in Zukunft wenigstens gegen „Automatic for the people“, ich Banause.