Freitag, 31. Dezember 2010
Welcome 2011.
Paul Weller fast vor der Ideenlosigkeit, Richard Ashcroft mitten in der Sinnkrise. Vielleicht doch ein wenig zu sehr auf Justin Curries neues Album gefreut und dann nur halbwegs berückt gewesen. Ryan Adams veröffentlicht ein schwer verdauliches Metal-Album, taut aber wenigstens zum Jahresschluss ein paar übrig gebliebene Songs aus vergangenen Zeiten auf. Lloyd Cole kann auch bessere Platten machen als "Broken Record", gibt aber wenigstens schöne Konzerte. Duffy klingt jetzt tatsächlich wie eine kaputte Lockpfeife für die Entenjagd, die Flaming Lips machen mit ihrer Konzertreise einen großen Bogen um Deutschland. Den Oasis-Newsletter hab ich abbestellt, seitdem mir Liam Gallagher ständig das Vorkaufsrecht auf das neue Beady Eye Album andrehen will.
Und Arcade Fire? Mich fragt ja keiner, aber ich würde antworten, dass "Funeral" und "Neon Bible" um Lichtjahre besser waren, als "The Suburbs". Keine Ahnung, wie das die Besucher des Reading-Festivals in diesem Jahr sahen, aber es klingt jedenfalls so, als wären wir einer Meinung. Zum Abschluss eines musikalisch eher mediokren Jahres stammt der Rausschmeißer für 2010 darum auch vom Debüt der Kanadier. Und ja, das Mitgrölen ist heute ausnahmsweise mal gestattet. Spiel es laut.
Allen Freunden ein gesundes, wohlklingendes 2011.
VDL
Montag, 27. Dezember 2010
Kracher 2010
Dienstag, 16. November 2010
Imaginäres Interview mit Ryan Adams
»Herr Adams, so geht das nicht. Immer nur tolle Songs. Tolle Platten. Erst mit Whiskeytown, dann solo. Ihnen gelingt wirklich alles. Sogar ein Cover von Always on my mind, womit alle Anderen mordsmäßig vor die Wand fahren würden. Probieren wir doch mal etwas aus. Komponieren Sie bitte mal schnell ein Scheiß-Stück.«
Samstag, 23. Oktober 2010
Reisen bildet.
Sonntag, 10. Oktober 2010
Solomon Burke, 1940 - 2010
Freitag, 8. Oktober 2010
Wiedersehn.
Mittwoch, 6. Oktober 2010
Under Pressure
Alle Jahre wieder gibt es auf unserem Planeten Songs, passend zu irgendeinem guten Zweck. Aber selten hat jemand so einfallsreich und wirklich irre lustig mit Musik auf einen Missstand hingewiesen, wie dieser Mann. Ein Jahrhundert-Song. Und das "Musik-Video" des Jahres. Mindestens.
»As I said this is a performance. I don't want there to be any doubts about my situation. I am a performer. I have a roof over my head and I have yet to start my own family. But this video isn't about me. This is for the men, women and children on our streets who don't have bright green puppets on their hands. The people who aren't always as easy to see. This is for you.«
Sonntag, 3. Oktober 2010
Eric Clapton · Clapton
Langeweile is God.
Donnerstag, 30. September 2010
Wilco, 26/09/2010, Laeiszhalle Hamburg
Donnerstag, 23. September 2010
Bryan Ferry · You Can Dance
Dienstag, 21. September 2010
Lloyd Cole · Broken Record

Erstklassiges vom ewigen Zweiten.
Fast 25 Jahre ist es her, dass Lloyd Cole – damals noch mit seiner Begleitband „The Commotions“ – in Hannover auftrat. Mit „Easy Pieces“ war damals das zweite Album des Schotten erschienen und trotz fabelhafter Live-Adaptionen von „Forest Fire“ oder „Brand New Friend“ gingen während des Auftritts einige Menschen in der Mittagssonne lieber Bier holen oder fortbringen. Man muss natürlich erwähnen, dass Lloyd Cole damals u.A. neben musikalischen Zweitagsfliegen wie Katrina & The Waves als Stimmungsmacher für BAP fungieren musste. Ohne veritablen Chart-Hit im Gepäck stand man bei einem Ereignis dieser Art 1986 mit ziemlich kurzen Hosen da. Aus heutiger Sicht könnte man es sich leicht machen und sagen, der weitere Karriereverlauf Lloyd Coles hätte mit jenem Sommertag im Sportpark eine Menge gemein. Alles andere als ein Promoter in eigener Sache, wurde Lloyd Cole nach der Trennung von den Commotions und der Übersiedelung auf die andere Seite des Atlantiks eher zum Überlebenskünstler, als zum Star. Der ewige Zweite des Wettbewerbs ging seinen Weg völlig unbeirrt von den Strömungen der Zeit, veröffentlichte in regelmäßigen Abständen tolle Platten, war nie wirklich präsent, aber immer da. So wie einer dieser Läden, die man an Strandpromenaden findet und in denen es auch 30 Jahre nach der eigenen Kindheit unverändert nach Sonnencreme, Schwimmflügeln und Süßigkeiten duftet. Das große Publikum hat Lloyd Cole niemals erreicht. Dafür aber eine kleine, eingeschworene Fangemeinde um sich geschart, die ihm seit Anbeginn der Laufbahn die Treue hält.
Von eben dieser Community ließ sich Lloyd Cole in Ermangelung eines Major-Deals das neue Werk per Website-Aufruf vorfinanzieren. Plus Eigenleistung und Finanzspritzen durch mehrere kleinere Labels in den jeweiligen Ländern, konnte „Broken Record“ schließlich erscheinen. Nicht auszudenken, hätte diese Strategie des blinden Vertrauens in den Künstler versagt – schließlich ist auch das zehnte Soloalbum des ehemaligen Philosophie-Studenten erneut wunderbar geraten.
Wie ein pechschwarzer Faden durchzieht ein unverwechselbares Merkmal das Gesamtwerk von Lloyd Cole und auch auf „Broken Record“ werden bittere Wahrheiten in manchmal durchaus fröhlichen Melodien verpackt. Neu in seiner an musikalischen Facetten durchaus reichen Charakteristik sind lediglich die Country-Anleihen, die schon den Titelsong mit Pedal-Steel und Banjo bereichern. Ein Stück wie „Writers Retreat“, zu dem sogar ein Musikvideo erschien, wäre früher viril und ungestüm von Gitarren geleitet worden – in dieser Dekade lässt Cole eine Mandoline diesen Job erledigen. Überhaupt wird bei den 11 neuen und relativ kurzen Songs größtenteils auf drängende Hooklines oder schnelle Kehrtwenden verzichtet, was dem gesamten Album eine überaus entspannte Atmosphäre verleiht. „If I were A Song“ schunkelt mit Nashville-Insignien daher, „That’s Alright“ könnte man fast als Rock bezeichnen, hätte Lloyd Cole nicht diese eine Musikrichtung stets mit einigen Metern Abstand betrachtet und auf seine ureigene Weise interpretiert.
Wie zeitlos die Kunst dieses Mannes ist, offenbaren vor allem Songs wie „Oh Genevieve“ oder „Double Happiness“, die mit marginal veränderten Arrangements genauso gut aus dem Jahr 1986 stammen könnten. Dabei kopiert sich Lloyd Cole keinesfalls selbst, sondern folgt einfach unbeirrt seinem Weg, der ihn wie seit Anbeginn sicher an den Volten musikalischer Kurzlebigkeit vorbei durch sicheres Fahrwasser geleitet. Die Stationen die er dabei macht, werden auch in Zukunft das sein, was sie immer waren. Wirklich wertvoll.
Richard Ashcroft · RPA And The United Nations Of Sound

Tired Pony · The Place We Ran From

Americana für Anfänger.
Es gibt Ankündigungen, vor denen hat man als von Musik begeisterter Mensch glattweg Angst. Die Kollaboration bei Tired Pony versprach zumindest im Vorfeld nicht unbedingt Gutes: Gary Lightbody, seines Zeichens Sänger der von Krankenhausserien gern zitierten Snow Patrol, wollte gemeinsam mit einigen prominenten Vertretern der Zunft ein »von seiner Liebe zu Wilco« inspiriertes Album in die Läden bringen. Da beschleicht einen schon ein irgendwie ungutes Gefühl, auch wenn der Cover-Aufkleber die Teilnahme durchaus honoriger Persönlichkeiten verkündet: Peter Buck von REM, Belle & Sebastian-Drummer Richard Colburn, Tom Smith von den Mädchenflüsterern The Editors, Produzent Jacknife Lee und einige mehr. Aber wenn dann der Opener des Albums auch noch „Northwestern Skies“ heißt, wird die Befürchtung, dass sich die Protagonisten möglicherweise schwer verheben könnten, doch größer als die Vorfreude. Die Klischee-Warnlampe blinkt und man fragt sich unweigerlich, wie dieser Betriebsausflug ins Alternative-Country-Land denn wohl aussehen mag. Wie Coldplay mit Sheriffstern?
Dann aber doch Entwarnung und sogar eine kleine Überraschung: die 10 Songs auf „The Place We Ran From“ sind erwartungsgemäß versiert hervorgebracht, klingen aber dabei erstaunlich lässig. Natürlich dockt die Stimme von Lightbody an die gleichen, gewohnten Synapsen an und es fällt natürlich auch nicht leicht, beim Hören der ersten Zeilen des Openers zu vergessen, dass der Frontmann sein Zuhause im Formatradio hat. Insofern ist „The Place We Ran From“ anfangs anstrengend, wenngleich die Musik selbst durchaus fließend und souverän daherkommt. „Get on the Road“ besitzt eine hübsche Coda mit Stoner-Rock-Anleihen, „Point Me At Lost Islands“ gefällt mit Gitarren, Mandolinen und Fiedel in Saloon-Atmosphäre und „That Silver Necklace“ mit einem verschleppten Schlagzeug. Spätestens dann hat man auch Grey’s Anatomy fast vergessen.
Klar: „Held In Your Arm Of Your Words“ könnte auch Gary Lightbodys üblicher Kostenstelle entstammen, „Dead American Writers“ fällt nach wenigen Sekunden als charttauglich auf und das von Iain Archer gesungene „I Am A Landslide“ klingt etwas bemüht. Aber durchaus schön und weniger nach Wilco, als nach Mike Oldfield. Kann man ja auch mal machen. Insgesamt spürt man bei Tired Pony durchaus die Inspiration, auch wenn sie sich nicht in jedem Song offenbart und es werden in Zukunft möglicherweise ganze Jahre vergehen, in denen man „The Place We Ran From“ nicht auflegen wird. Aber wer weiß – vielleicht verliebt sich der eine oder andere Mensch zufälligerweise zu den Klängen von „The Good Book“ oder „The Deepest Ocean There Is“ und behält Tired Pony in steter, ja ewiger Erinnerung. Mehr kann man von Musik sowieso kaum erwarten. Solide Arbeit. Mission accomplished.
The Verve · Fourth

Gwyneth findet's auch gut.
(Tuuuuut. Tuuuuut.)
RA: Ashcroft?
CM: Chris Martin hier. Hallo Richard!
RA: Tag! Oder isses bei euch Nacht? Ich bin gerade im Urlaub. Vom Tourstress erholen. Verdammte Comeback-Tour.
CM: Ich wollte nur Glückwunsch zum neuen Album sagen!
RA: Ach ja. Ist ja heute erschienen. Hatte ich ganz vergessen. Danke, Mann. (Gähnt) Sorry, hab gerade meine Einschlafpillen genommen und bin müde. Die Kinder sind auch endlich still. Gefällt dir die Platte denn?
CM: Schon toll. Wirklich. Jetzt haben wir doch tatsächlich beide gleichzeitig die vierte Scheibe auf dem Markt.
RA: Ja, lustig was?
CM: Geht echt ganz schön laut und krachig los bei euch. Da dachte ich erst... na ja. Aber auf RATHER BE bin ich echt neidisch. Mit drei läppischen Akkorden einen so schönen Song zu basteln. Klingt sehr nach dir. Also solo mein ich.
RA: Ist ja auch von mir. (Gähnt wieder) Entschuldigung.
CM: Na und JUDAS könnte auch von uns kommen. Finde ich.
RA: Wenn du so singen würdest, wie ich.
CM: Haha! Tja... (kurze Stille) I SEE HOUSES ist auch echt klasse. So einfach und doch so wunderbar harmonisch. Ich hab auch ein wenig geweint dabei. (Schnieft kurz) Ihr habt auch alles so toll laut aufgenommen! Das ist der Breitwand-Sound, den ich auch immer haben will. Nur bei euch klappt das irgendwie besser. Bei Coldplay fieselt das immer so auseinander.
RA: Musst du einfach nur die Regler aufdrehen. Dann haut das auch hin.
CM: Ist aber nicht das Gleiche! Nee! Ich weiß auch nicht, was bei uns da immer schief... Übrigens geht euer LOVE IS NOISE bestimmt in die Charts, das wette ich! Ist ja auch eins von den kurzen Stücken. Mann, habt ihr da lange Tracks auf dem Album. Ich bin da meistens ein wenig ängstlich, dass den Leuten nach 3 Minuten langweilig wird.
RA: Kommt auf die Lieder an.
CM: Genau! Genau das sag ich ja auch immer. Aber die hören nicht auf mich. Du haust bei The Verve wohl einfach auf den Tisch was? Haha!
RA: Meistens. Einer muss ja der Boss sein.
CM: Stimmt. Ach vielleicht hätten wir auf Brian Eno doch verzichten sollen. Der hatte bei den Aufnahmen die ganze Zeit ein U2 T-Shirt an und faselte immer was von Stadion-Rock, großer Geste und so. Hat andauernd flüsternd mit Bono telefoniert, so komisch gelacht und immer aufgelegt, wenn ich dazu kam. Ich war schon total verunsichert. Produzenten... Ihr habt das ja alles selber gemacht.
RA: Klar. Ich brauch da auch keinen.
CM: Logisch, logisch. Ich mein nur... ach... naja. VALIUM SKIES finde ich auch hervorragend! Total! Ehrlich, ich sag das nicht bloß so! Und nach APPALACHIAN SPRINGS war ich für eine Stunde nicht mehr ansprechbar. Also eigentlich... um ehrlich zu sein... wollte ich ja genau die Platte machen, die ihr jetzt gemacht habt.
RA: Wenn du so singen würdest, wie ich.
CM: Richtig. Haha! Das hab ich jetzt verstanden! Du bist mir vielleicht einer... Na ist ja auch egal jetzt. Ich wollte dir nur sagen, dass ich FOURTH wirklich toll finde. Ich fand euch ja schon immer super.
RA: Das ist sehr nett von dir.
CM: Nicht der Rede wert. Echt. Leg dich mal wieder hin.
RA: Ja, mach ich. Gwyn geht's gut?
CM: Ja, alles bestens. Danke. Danke der Nachfrage. Ich soll auch schön grüßen. Ganz herzlich. Hat sie extra betont.
RA: Fein. Dann machs mal gut. (legt auf)
CM: Du auch! Tschüss! Tschüss Richard!
Justin Currie · What Is Love For

Schmerz mit Schleife.
Selbst die heiterste Witzpille wird von Justin Curries erstem Solowerk kaum etwas anderes erwartet haben, als eine Ansammlung überbordenden Herzschmerzes. Del Amitri haben es einem schließlich früher auch nie leicht gemacht. Und obwohl es dem vormaligen Frontmann der herbstlichsten aller Herbst-Bands während seiner bisherigen Schaffensperiode wohl nicht für eine Minute daran lag, landläufigen Erwartungen zu entsprechen, liegt mit What is love for nun genau das vor, was der Titel des Albums verspricht. Gelegenheits-Melancholiker, Quartals-Zyniker und vermutlich eine ganze Menge Mädchen werden aufatmen. Denn alle, die befürchtet haben, dass sich Currie musikalisch vom Del Amitri Fundament entfernt und plötzlich den Experimentalisten oder gar den Rocker heraushängen lässt, dürfen beruhigt seufzen und sich zwischen welkenden Schnittblumen ein weiteres Mal in Musik gewordenem Liebeskummer winden. Der einen allerdings so wunderschön und tröstlich umfängt, wie man es von den Schotten über Jahre hinweg gewohnt war.
What is love for ist eine Soloplatte und gleichzeitig auch wieder nicht. Nachdem Del Amitri 2002 von ihrer Plattenfirma schnöde fallen gelassen wurden, wird nun dem aufmerksamen Credits-Leser nicht entgehen, dass Iain Harvie einen Teil der Stücke arrangiert hat. Die Mitarbeit des besten Bandkumpels aus alten Zeiten betrachtend, ist es kaum verwunderlich, dass es sich bei diesen Songs um das gefühlige Sediment aller Del Amitri Alben handelt. Überdrehte Happy-Songs sucht man vergeblich, stimmungshebende E-Gitarren sind allzu spärlich gesät. Justin Currie, der immer noch singt wie der Prinz der Beladenen und der Gott aller aus Gram gefüllten Gläser, konzentriert sich vorrangig auf seine Stimme neben Arrangements mit Harfen, Mandolinen, Piano und Streichern. Das Schlagzeug setzt erst gegen Ende des zweiten Stückes verhalten ein.
Wo man auch hinhört, präsentieren sich auf What is love for bittere Einsichten. Das Titelstück endet nach der Allgemeinbetrachtung aller Fallstricke der Liebe als persönliches, disparates Gefühl: What do I do with love I can’t use for her anymore? Where do I put this beautiful suit another man wore? Zwischen den Zeilen von Not so sentimental now ist das Herz schon längst gebrochen und Currie fegt, wissend dass geschlagene Wunden vernarben, in aller Ruhe ein paar Scherben zusammen. Something in that mess und besonders If I ever loved you erstrahlen im Abglanz einer nicht für die Ewigkeit bestimmten Beziehung. Only Love tröstet mit Mandolinen und Streichern über die Erkenntnis hinweg, dass der bevorstehende Tod gegenüber Liebeskummer doch nur ein Waldspaziergang ist.
Ohnehin weiß Justin Currie nur zu gut, dass bestimmte Worte in bestimmten Situationen mehr grausames Potential in sich tragen, als eine Horde Erstklässler. Und wäre die brutale Wahrheit dieser Platte nicht in so viel heilendem Balsam instrumentiert, hätte man vermutlich mit einem entsprechenden Hinweis auf dem Cover davor warnen müssen, dass suizidal veranlagte Menschen die Finger von What is love for lassen sollten. Erst am Schluss lenkt Currie vom höchstpersönlich empfundenen Schmerz ab und betrachtet das Universum der modernen Welt in No surrender. Auf durchaus resignative Weise versteht sich und Vergleiche mit den Anfängen der Del’s bei Nothing ever happens kommen nicht von ungefähr. Nach dem Verhallen von What is love for bleibt dennoch das Wissen darum, dass es angesichts der nächsten seelischen Notlage wenigstens einen Menschen geben wird, der verstehend nickt und wortlos das Gästebett bezieht. Eine Harmonie gewordene Erkenntnis, dass das Herz zwar zerreißen, aber möglicherweise durchaus gesunden kann. Regenerationsfähigkeit in Noten. Musik mit Heilwirkung. Gibt's demnächst vielleicht auf Rezept.
REM · Accelerate

Leider gut.
Mist, verdammter. Jahrelang war ich davon überzeugt, dass ich REM nach vielen grandios gescheiterten Annäherungsversuchen einfach nicht mögen muss. Richtig froh war ich, den Hype mancher Pop-Gazetten nicht mitmachen zu müssen. Und bestätigt wurde ich auch immer wieder, wenn sich diese Truppe ganz gefährlich an der Grenze zum Mainstream entlanggemogelt hat. Wenn mir die Stimme von Michael Stipe einfach furchtbar auf die Nerven ging. Dieses Gezappel dazu. Die ganze Attitüde, das verkniffene auf-Fotos-wird-nicht-gelacht, diese „Amerika ist aber ganz gehörig am Arsch“ Nummer. Shiny Happy People im Formatradio. Und dann auch noch das verunglückte „Monster“ und zu guter Letzt der Panzerknacker-Streifen im Gesicht. Alles ziemlich doof. Meine Welt war echt in Ordnung ohne REM.
Und jetzt das. Kommen die daher und legen das beste Rock-Album des ersten Quartals 2008 hin. Einfach so. Da hab ich den Salat. Denn so sehr ich mich auch drehen und qualvoll winden mag – an den 35 Minuten auf „Accelerate“ ist tatsächlich kein Makel zu finden. „Living well is the best revenge“ tritt nach Betätigung des Abspielknopfs die Tür auf und bellt einem frech ins Gesicht. Viel breitbeiniger, als man das von einer Truppe erwarten würde, die einen Mann mit Norbert-Blüm-Brille in ihren Reihen beherbergt. Von einer komplexen, aber blöderweise dennoch nicht verkünstelten Songfigur getragen, schunkelt man sich gleich danach durch „Man-sized Wreath“. Und ist anschließend wirklich angenehm überrascht, denn wenn ein Großteil der REM-Auskopplungen im Backkatalog so energetisch und ungebürstet dahergekommen wäre, wie „Supernatural Superserious“, hätten sich die Jungs aus Georgia viel Ungemach erspart. Klar – auch hier verspürt man ein wenig Eingängigkeit, für die man REM so oft geächtet hat (ich auf jeden Fall – Schande über sie!). Die verschwindet aber im Flug, wenn man sich das Ding einfach richtig laut auf einem Tonträger und nicht als UKW-Frikadelle im Shakira-Rihanna-Sandwich zu Gemüte führt. Wunderschön, wie fies der Refrain zu „Hollow Man“ eingeleitet wird und sich der Bass schlangenförmig in die Höhe windet. Der bedrohliche Höhepunkt bei „Houston“ mit einem scheppernden Schlagzeug, mit Gitarren wie Knarren und einer angehübschten Mandolinenspur irgendwo aus dem Off. Das Titelstück lässt wenig Atemluft, bei „Until the day is done“ kann man zur Akustischen mal durchschnaufen. „Horse to water“ hätte man sich unveröffentlicht als Live-Beigabe gewünscht, weil das Publikum beim Mitklatschen herrlich verzweifelt nach der Eins sucht. Apropos Zahlen: Ordentlich auf die Zwölf gibt’s dann nochmal zum Schluss bei „I’m gonna DJ“ mit quietschfidelen Uhuu-Chören.
Es ist übrigens nicht der Kürze der Songs zu verdanken, dass man auf „Accelerate“ ständig bei der Stange bleibt. Vielmehr haben REM auf jeglichen überflüssigen Schnickschnack verzichtet und folgen ihren einfachen, wie exzellenten Songstrukturen. Die Stücke stehen schlank und druckvoll da, nichts wird begradigt, kein Fade-out lässt nach letzten Akkorden die fast in Punk-Manier enden, noch Fragen offen. Da liegt die Vermutung nah, dass nach dem ersten Take im Studio die Aufnahme im Kasten war. Haken dran, weiter bitte, wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit. Mehr nach offenem Garagentor klangen REM wohl nie. Kaum eine Gitarre ohne Kabel. Please file under „Rock-Music“.
Okay. Ja, mein Gott. REM haben eine verdammt gute Platte gemacht. Leider. Wehre ich mich in Zukunft wenigstens gegen „Automatic for the people“, ich Banause.
Panic At The Disco · Pretty Odd

Die machen nur Spaß.
Wenn man sich mindestens 30mal hintereinander Sgt. Pepper anhört, nebenbei den Zauberer von Oz anschaut und sich dabei noch ordentlich einen auf die Lampe gießt, kommt vermutlich genau die Art von Musik dabei heraus, die Panic At The Disco gerade machen. Ohne Ausrufezeichen im Namen kommen die Jungs aus Las Vegas nicht mehr ganz so hemdsärmelig und gitarrenlastig daher, wie auf dem Erstling „A fever you can’t sweat out“. Das wird bei der schnell angewachsenen Fangemeinde nicht unbedingt für frenetischen Beifall sorgen, hat aber gehöriges Potential, neue Liebhaber zu generieren. Zumindest solche, die sich zu amüsieren verstehen, denn das kann man auf „Pretty Odd“ geradezu königlich.
Paul Weller · 22 Dreams

Feines, aber manchmal schweres Backwerk.
Ein Konzeptalbum! Musik für Musiker! Würde man nicht besser wissen (und in den letzten Interviews, die Paul Weller mal gern, mal eher mürrisch gegeben hat herausgehört haben), dass es durchaus schwierig war, 22 DREAMS abzumischen und das Tracklisting hinzubiegen, könnte man hier durchaus davon ausgehen, es mit verkünsteltem Konzeptkalkül und Muckertum zu tun zu haben. Aber natürlich gelten für das nunmehr neunte Studio-Soloalbum des Modfathers andere Gesetze. Wie schon seit langem und jetzt erst recht – denn unlängst feierte Weller seinen 50. Geburtstag und ruht nach eigenen Angaben mittlerweile größtenteils in sich selbst. Was auf die Wellersche Rastlosigkeit indes keinen Einfluss hat; lediglich vielleicht auf die Urteilsbetrachtung hinsichtlich der versammelten Musikpresse. »Ich habe mir das Recht erarbeitet, keine Kompromisse mehr einzugehen. Ich kann machen, was ich will.« wurde Paul Weller vor wenigen Wochen zitiert. Wenn man 22 DREAMS zum ersten Mal hört, bekommt man tatsächlich den Eindruck, dass der Mann seinen Worten auch Taten folgen lässt.
Für jemanden, der es während seiner gesamten Karriere gewohnt war mit Stilen zu brechen, Kurven und Kehrtwenden einzulegen oder gar Haken zu schlagen, mag das vorliegende Doppelalbum die normalste Sache der Welt sein. Für aufmerksame Musikliebhaber – und Weller-Fans erst recht – ist 22 DREAMS ein ganzes Stück Arbeit. Vor allem, weil diese 21 Songs (!), zumindest was das Studiowerk von Paul Weller anbelangt, direkt auf das absolut grandiose und stellenweise ziemlich breitbeinige AS IS NOW von 2005 folgen. Hatte man damals und in den folgenden Jahren vor Publikum noch gedacht, Weller hätte es sich komplett in der alterslosen Rock’n’Roll-Ledergarnitur, der Oasis-Kumpanei und inmitten seiner klassischen Vier-Personen-Band kuschelig gemacht, wird 22 DREAMS nun recht verspielt unterbrochen von allerlei instrumentalem Spleen und musikalischen Vignetten. Ob man das braucht oder nicht, mag jeder für sich selbst befinden. Die tatsächlichen Songs auf 22 DREAMS hingegen, sind zum größten Teil schlichtweg wunderbar.
Hat man den etwas überdrehten Einstieg erstmal geschafft, ist man geradezu erstarrt von der klaren, schlichten Schönheit, die ALL I WANNA DO IS TO BE WITH YOU oder HAVE YOU MADE UP YOUR MIND ausstrahlen. Das harmonieselige EMPTY RING hält vermutlich noch in ein paar Monaten ein paar neue, bislang unentdeckte Melodien bereit, während INVISIBLE so viel Resignation in sich trägt, dass Menschen, die sich gerade in einer vergleichbaren Beziehungssituation befinden, dem Gedanken mal eben ins Wasser zu gehen, eine Menge abgewinnen könnten. Das fantastische COLD MOMENTS zitiert luftig die Sixties und ist allein durch den Sha-la-la-Part zum Mitsingen schon jetzt ein Weller-Klassiker. Und auch wenn Paul Weller die Beatles bevorzugt, ist der Beginn von PUSH IT ALONG ebenso kunstfertig wie herrlich bei der ehemaligen Konkurrenz von Under my thumb geklaut. Aber trotzdem toll, selbstredend. Das Oasis-Derivat ECHOES ROUND THE SUN, mit Wellers Lieblingstrinkkumpanen Noel Gallagher geschrieben, ist so eloquent wie grandios, hingegen doch schnell als Kooperation enttarnt – als lupenreiner, alleiniger Paul Weller Song wäre das dann doch zu eindimensional. Direkt auf diesen ultracoolen London-Chartbreaker einen Tango wie ONE BRIGHT STAR folgen zu lassen, kann man sich wohl tatsächlich bloß erlauben, wenn man wie Weller keine nervenden Plattenbosse im Nacken hat. Nach der Pleite des Hauslabels V2 fand Weller den Weg zurück zu Universal und dort ist man dem Anschein nach so froh über das unverhoffte Glück, wieder ein English Icon in den eigenen Reihen begrüßen zu können, dass man dem verlorenen Sohn so Einiges durchgehen ließ. Das versponnene GOD, die überfrachtete und gänzlich überflüssige Session 111 oder das verkünstelte NIGHT LIGHTS beispielsweise.
Es ist unmöglich, einen Mann wie Paul Weller auf einen Stil oder gar eine oder zwei Platten zu reduzieren, weshalb 22 DREAMS wohl auch nichts für Einsteiger in das Gesamtwerk des Künstlers sein werden. Eingeweihte werden die Einflüsse von Traffic oder den Small Faces zu schätzen wissen, aus denen Weller selbst auch nie einen Hehl gemacht hat. So ist diese Platte ein Doppelalbum im klassischen Sinn. Als Stand-alone mit mindestens 10 außergewöhnlichen Songs ein im Vergleich zu AS IS NOW zwar ruhigeres, aber durchaus musikalisch wertvolleres Meisterwerk. Als Doppelalbum muss sich 22 DREAMS mit ein paar naturgemäßen, aber daher verzeihbaren Lückenbüßern herumprügeln. Paul Weller hat sich selbst einen musikalischen Geburtstagskuchen gebacken. Der muss nicht jedem schmecken. Aber das eine oder andere Stück ist immer noch weitaus leckerer als vom besten Bäcker der Stadt.